Auch die Justiz kann irren

In Blog by Johann G. Böhmer

Ich möchte heute auf zwei mögliche Wendungen zu rechtskräftigen Strafurteilen mit Gefängnisstrafen hinweisen:

Fall Mauser

Die Doyenne der deutschen Gerichtsreporter Gisela Friedrichsen (FAZ, Spiegel, Welt) wirft der Justiz, die den Präsidenten der Münchner Musikhochschule Wolfgang Mauser wegen Vergewaltigung verfolgt und zu einer noch nicht angetretenen Freiheitsstrafe verurteilt hat, Rechtsversagen vor. Man sei dem Zeitgeist („me too“) gefällig gewesen und habe einer sogenannten Opferzeugin alles geglaubt. Friedrichsen geht in einem bemerkenswerten, jüngst in der Weltwoche veröffentlichten Artikel noch weiter und schreibt, der Mauser-Prozess habe an der Feigheit mancher Richter gelitten und sei kein Einzelfall. Es seien so zwei Existenzen vernichtet worden, die des Herrn Mauser, aber auch die seiner Frau.

https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2021-37/diese-woche/die-wahrheit-ist-weiblich-die-luge-auch-die-weltwoche-ausgabe-37-2021.html

Die Wahrheit ist weiblich, die Lüge auch, „Weltwoche (Schweiz), Nr. 37, 2021“ (PDF)

Das ist absolut harter Tobak.

Fall Genditzki

In dem Fall Manfred Genditzki, der 2012 für schuldig befunden wurde, eine 87-jährige Rentnerin in ihrer Badewanne ertränkt zu haben, und der seit 12 Jahren im Gefängnis sitzt, hat die Strafverteidigerin Genditzkis in der Beschwerdeinstanz zu ihrem Wiederaufnahmeantrag erreicht, dass ein Gutachten eines Professors für Simulationstechnologie jetzt doch noch einmal genauer auf die Frage hin geprüft werden muss, ob die Rentnerin nicht selbst in die Badewanne gestürzt und ertrunken sein könnte. Das hat nun das OLG München entschieden. Zuständig für diese Prüfung und dann die Prüfung der Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags ist allerdings wieder dieselbe Kammer beim Landgericht München I, die den Wiederaufnahmeantrag rechtsfehlerhaft verworfen hatte.

Das berichtet die SZ heute in dem Artikel „Computersimulation als neues Beweismittel“:

https://www.sueddeutsche.de/bayern/muenchen-badewannen-mord-verfahren-genditzki-1.5419174

Link zu einem früheren Bericht:

https://www.sueddeutsche.de/bayern/untersuchung-im-landtag-tod-in-der-badewanne-computersimulation-soll-aufklaeren-1.4070826

Wiederaufnahmeanträge haben nur zu einem sehr kleinen Prozentsatz Erfolg. Ein spektakulärer Fall, in dem eine Wiederaufnahme erfolgreich war und 2013 zu der Freilassung und Rehabilitation eines Justizopfers geführt hat, war der Fall „Mollath“. Mollath hat 2019 nach einer Entschädigungsklage vom Freistaat Bayern für seine 7 Jahre in der Psychiatrie zu den zunächst bezahlten 70.000 € (aus 25 € pro Tag) weitere 600.000 € Entschädigung erhalten.

Bemerkenswert war in den letzten Tagen (21.9.2021) auch der Artikel in der SZ „Wie die Münchner Justiz mit Journalisten umgeht“:

https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-prozess-corona-boateng-gericht-journalisten-1.5415457?reduced=true

Die SZ beklagt in ungewöhnlicher Schärfe und Offenheit geradezu verächtliche Arbeitsbedingungen für Pressevertreter in der Justiz in München. Zur Zeit wird gerade weit sichtbar ein neues Justizzentrum an der Dachauer Straße in München gebaut.  Es wird also gerade zur Verbesserung der räumlichen und funktionalen Ausstattung der Münchner Justiz viel Geld investiert. Da fallen solche schrillen Töne schon auf.

Was die Qualität der Rechtsprechung angeht, fällt Faktencheck natürlich auch der Fall „Tatti“ gleich ein. Das erstinstanzliche Urteil des Amtsgericht Fürstenfeldbruck vom Herbst letzten Jahres war völlig unverständlich und eigentlich nur dadurch erklärbar, dass die Anwältin von Frau Tatti auch Fehler gemacht hat, indem sie das eingeholte Gerichtsgutachten und den dortigen Hinweis auf das Behindertengleichstellungsgesetz nicht umgesetzt hat.

Es gibt also auch auf dem Feld der Justiz einiges zu tun in unserem Lande. Sicher nicht zu Unrecht klagt die Justiz über eine permanent sehr hohe Arbeitsbelastung. Andererseits gehört zu einer guten, humanen Rechtskultur sicher auch die Bereitschaft, Fehlurteile zu revidieren und neue Erkenntnisse angemessen zuzulassen.

Foto: Johann Böhmer