Tiki – Taka am Weidegrund
Die Fußball-Europameisterschaft schult beim Betrachter den Sinn für Taktik. Eine durch die spanische Nationalmannschaft bei den Turnieren 2008 (EM), 2010 (WM) und 2012 (EM) erfolgreich praktizierte neue Spielweise ist der Ballbesitzfußball, genannt Tika-Taka. Dabei wird großer Wert auf Ballbesitz gelegt. Man reduziert riskante Aktionen, ohne auf sie jedoch ganz zu verzichten. So soll der Torerfolg nach einer Phase des Einlullens durchaus auch durch überraschende Tempobeschleunigungen, spricht mit z. B. dem berühmten „Pass in die Tiefe“ gesucht werden. Ein anderer Begriff aus der Fußballsprache ist „Umschaltspiel“. Damit ist der andauernde schnelle Wechsel von Angriff auf Verteidigung und umgekehrt gemeint. Bei dem umstrittenen DFB-Vizepräsidenten Dr. Rainer Koch titelte die SZ kürzlich bildhaft „Kochs Umschaltspiel“ (SZ vom 8./9.5.2021) und fasste in dem Wort „Umschaltspiel“ plastisch zusammen, dass Koch sich auf kritische Nachfragen nach einem dubiosen Gutachtenauftrag immer wieder nur sehr bruchstückhaft geäußert, Kenntnisse wenig glaubhaft abgestritten oder journalistische Quellen als illegal hingestellt hat.
Wenn man das Geschehen Am Weidegrund betrachtet (siehe Faktencheck, Blog vom 18.4.2021 „Fuchs, Du hast die Gans gestohlen… – oder „Schäfer first in Gröbenzell?““ ) drängen sich durchaus einige Parallelen zum modernen Fußball auf.
Martin Schäfer und Marco Kuchenreiter, die das Grundstück „Am Weidegrund 1“ 2019 in einer konzertierten Aktion mit und von einem vorkaufsberechtigten Erbbaurechts-Inhaber erworben haben (oder auch nicht, wenn der Erwerb rechtsfehlerhaft war), ringen immer noch mit einigen Altmietern, die ihre Werkstatträume in dem Objekt nicht räumen wollen, weil sie den Erwerb von Schäfer und Kuchenreiter nicht als rechtsgültig anerkennen wollen. Nach Information von Faktencheck seitens dieser Altmieter wollte Kuchenreiter, in dessen real abgeteiltem Grundstücksteil/Hallenteil diese widerspenstigen Altmieter ihre Werkstätten haben, dem noch vom Altvermieter erhobenen Räumungsverlangen durch Stromabsperren Nachdruck verleihen. Die Altmieter setzten sich dagegen zur Wehr, indem sie Anfang Mai 2021 eine einstweilige Verfügung gegen Kuchenreiter beim Amtsgericht Fürstenfeldbruck erwirkten, Stromunterbrechungen zu unterlassen. Dagegen legte Kuchenreiter Widerspruch ein und es kam zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht, die mit der Aufhebung dieser Verfügung per Urteil endete. Grund für die Aufhebung: dass tatsächlich Kuchenreiter für die Stromunterbrechungen verantwortlich war, erschien dem Amtsgericht nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Dagegen legte einer der unterlegenen Mieter Berufung ein. Bei dem anderen Mieter war schon kurz vor der mündlichen Verhandlung am 7.5.2021 beim Amtsgericht Fürstenfeldbruck die Stromzufuhr plötzlich wieder auf allen Phasen komplett (Tiki) und somit auch wieder zum dringend benötigten Starkstrom geeignet. Der Mieter, der in Berufung gegangen war, recherchierte weiter zu den Fehlerursachen und Manipulationsmöglichkeiten und legte zur ergänzenden Glaubhaftmachung weitere eidesstaatliche Versicherungen vor. Er war sich zusammen mit seinem Anwalt nahezu sicher, dass seine Berufung Erfolg haben würde. Einen Tag, bevor am 6.7.2021 die mündliche Verhandlung in der Berufungsinstanz stattfand, war der Strom plötzlich auch bei ihm wieder vollständig, d. h. mit allen 3 Phasen, da, was die Situation natürlich erneut änderte (Taka). Davor war nach Mieterangabe über eine geraume Zeit nur noch auf einer Phase Spannung angelegen, was auch von einem Techniker der Komm-Energie Anfang Juli so nochmals gemessen worden ist.
In der Gerichtsverhandlung am 6.7.2021 führte der Richter jedoch aus, dass er die Sache genauso sähe wie die Richterin am Amtsgericht. Es fehle an der genügenden Glaubhaftmachung, dass gerade Kuchenreiter für die Stromunterbrechungen verantwortlich sei, da ihn ja niemand „in flagranti“ bei einer Manipulation der Stromzufuhr gesehen habe. Offenbar hatte sich der Richter schon vor der Verhandlung auf eine Zurückweisung der Berufung festgelegt, allerdings ohne sich die Sache genau angeschaut zu haben, denn der Richter nahm z. B. irrig an, dass sich der Zählerraum, in dem nach den Recherchen der Mieter höchstwahrscheinlich Manipulationen stattgefunden haben, in der Werkstatt eines Mieters befand und nicht von den Mieträumen aus uneinsehbar auf der Nordseite des Gebäudes.
Der Richter ließ auch unbeachtet, dass Kuchenreiter zusammen mit seinem Anwalt bei Herannahen des Verhandlungstermins in der Berufung auf eine neue Verteidigungslinie umgeschwenkt war, dass nämlich der Zählerraum über Monate hin für jedermann zugänglich gewesen sei und Kuchenreiter erst vor kurzem ein Zylinderschloss in die Eingangstüre eingebaut habe. Damit deutete sich an, dass Kuchenreiter Manipulationen im Zählerraum nicht mehr strikt in Abrede stellen wollte. Als Motiv dafür lässt sich denken, dass Kuchenreiter damit rechnen musste, dass die betroffenen Mieter nochmals mit einem Sachverständigen in den Zählerraum kommen wollten, um Manipulationsspuren festzustellen, und dass er dies vermeiden wollte.
Der Richter hat in der Verhandlung am 6.7.2021 die Anforderungen für eine Glaubhaftmachung jedenfalls so hochgeschraubt, dass sie auch bei größter Anstrengung nicht mehr erfüllt werden konnten. Da die Berufung somit offensichtlich aussichtslos war und ein weiteres Rechtsmittel nicht zur Verfügung stand, nahm der Prozessbevollmächtigte des Berufungsklägers die Berufung noch in der Verhandlung zurück. Der Richter tröstete den Berufungskläger immerhin damit, dass in einem Hauptsacheverfahren mit Zeugen und Sachverständigen unter Umständen bessere Beweismittel zur Verfügung stünden und die Sache damit für den Berufungskläger insgesamt noch nicht verloren sei.
Man kann gespannt sein, ob die ordnungsgemäße Stromzufuhr in den beiden Werkstätten nun dauerhaft anhält oder ob es wieder zu Unterbrechungen kommt. Solche Unterbrechungen hat es nach Mieterangabe früher, d. h. vor der Übernahme des Objektes durch Schäfer und Kuchenreiter, nie gegeben.
An dieser Stelle sind einige Worte zu verlieren über das Phänomen der sogenannten kalten Entmietung. Unter einer kalten Entmietung versteht man eine Stromsperrung durch den Vermieter. Es sind dies Fälle, wenn ein Vermieter einem gekündigten, räumungspflichtigen Mieter sozusagen „den Saft“ abdreht, um ihn zur Räumung des Objekts, also zu etwas, wozu er ohnehin verpflichtet ist, zu bewegen. Rechtsprechung und Literatur beurteilen uneinheitlich , ob und unter welchen Voraussetzungen so etwas zulässig ist und ob und wie der Mieter sich dagegen wehren kann. Der BGH fordert, dass die Maßnahme dem Mieter jedenfalls mit kurzer Frist angekündigt werden muss, damit er sich vor vermeidbaren Schäden schützen kann (NJW 2009, 1947).
Unabhängig von § 940 a ZPO (Räumung von Wohnraum) ist gesichert, dass eine Räumungs-/Regelungsverfügung für den Vermieter nach den allgemeinen Regeln für einstweilige Verfügungen auch bei Gewerberaum möglich ist, so z. B. bei Vorhandensein gravierender Brandschutzmängel in einer Diskothek (OLG München NZM 2015, 167; Schmidt-Futterer, Mietrecht, 12. Auflage, § 546 BGB, Fußnote 165), wenn die Erlangung eines Räumungstitels und die Vollstreckung aufgrund dieses Titels, also der normale Weg, in Anbetracht der Umstände zuviel Zeit in Anspruch nehmen würde.
Somit stellt sich die Sache so dar, dass Vermieter oder Eigentümer, wenn sie einen Anspruch auf Räumung haben, auch bei Gewerberaum nicht nur eine Räumungsklage erheben können, sondern unter Umständen auch mit einer sogenannten Regelungsverfügung im einstweiligen Rechtsschutz weiterkommen können.
Dass Kuchenreiter diesen Weg bisher vermied, deutet darauf hin, dass weder die mietvertraglichen, noch die eigentumsrechtlichen Voraussetzungen für eine Räumung auf sicherem Boden stehen. Allerdings hielt er auch die Voraussetzungen für eine Versorgungssperre nicht ein, weil er sein Vorgehen nicht vorher mit kurzer Frist ordnungsgemäß angekündigt hat. Es ist nicht recht verständlich, dass der Richter in der Verhandlung am 6.7.2021 den Dingen nicht mehr auf den Grund gegangen ist. Vielleicht beruhigte er sich einfach damit, dass der Strom seit kurzem ja wieder funktioniert.
Bild von Phillip Kofler auf pixabay