man of the year 2023 – Teil 2

In Blog by Johann G. Böhmer

Eine Eloge der seltenen Art widmete Heribert Prantl in der SZ vom 19. 10. 2023 der Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker. Er bezeichnet sie als Speerspitze der Cum-Ex-Ermittlungen, fügt allerdings hinzu, die Umstände, unter denen sie ihre Arbeit tut, seien nicht gut. Es gäbe Leute, die hielten Anne Brorhilker für eine moderne Jeanne d`Arc.

https://www.sueddeutsche.de/meinung/brorhilker-cum-ex-olearius-limbach-zumwinkel-kolumne-1.6290215

Man merkt: Prantl gefällt der Vergleich mit diesem Bauernmädchen, das zur Nationalheldin wurde, weil sie sich an die Spitze des französischen Heeres stellte und die Engländer besiegte.  Was damals die Engländer waren, sind heute bei Cum-Ex, Cum-Cum und neuerdings auch Cum-Fake Berater wie Hanno Berger oder wie die Sozietät Freshfiled Bruckhaus Deringer – vergleiche zur Rolle von Rechts- und Steuerberatern, zur Rolle von Finanzmarktakteuren und zur Rolle von Wissenschaftlern die Seiten 346 – 353 des Abschlussberichts des Untersuchungsausschusses des Bundestags. Der Untersuchungsausschuss resümiert auf Seite 353 des Berichts unter der Zwischenüberschrift „Zusammenschau: kollusives Vorgehen verschiedener Finanzmarktakteure“:

Nach Überzeugung des Ausschusses handelt es sich bei den Cum/Ex Geschäften um gezielt verschleierte Steuerhinterziehungen im Zusammenwirken von Banken, Wirtschaftskanzleien und Investoren“.

https://dip.bundestag.de/vorgang/…/70603

Bis zu dem Urteil des BGH vom 28.7.2021, dass die Herbeiführung einer Erstattung von einer Kapitalertragssteuer, die tatsächlich nie an den Fiskus bezahlt worden ist, eine strafbare Steuerhinterziehung ist (§ 370 AO) und nicht bloß das geschickte Ausnutzen einer Gesetzeslücke, sahen sich die Strafverfolgungsbehörden, darunter besonders Anne Brorhilker, heftigstem Beschuss von Seiten der Verteidiger von Cum-Ex-Akteuren ausgesetzt, sie würden Unschuldige verfolgen.

Blenden wir zurück zur Parlamentsnachricht, die vom Deutschen Bundestag am 21.6.2017 vor sechs Jahren aus Anlass der Veröffentlichung des Cum/Ex-Abschlussberichtes des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags herausgegeben wurde:

 „Berlin: (hib/mwo) Der 4. Untersuchungsausschuss (Cum/Ex) hat am Mittwoch seinen Abschlussbericht vorgelegt. Der Ausschussvorsitzende Hans-Urich Krüger (SPD) übergab das rund 800 Seiten umfassende Dokument (18/12700) im Beisein der Obleute der Fraktionen an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Darin sind zwei Sondervoten der Linken und der Grünen enthalten, auf deren Initiative das Gremium im Februar 2016 eingesetzt worden war.

Auftrag des Ausschusses war die Untersuchung von Gestaltungsmodellen sogenannter Cum/Ex-Geschäfte mit Leerverkäufen um den Dividendenstichtag, die auf eine mehrfache Erstattung beziehungsweise Anrechnung von Kapitalertragsteuer gerichtet waren, obwohl die Steuer nur einmal bezahlt wurde. Insbesondere sollten die Ursachen der Entstehung dieser Cum/Ex-Geschäfte und ihre Entwicklung untersucht und geklärt werden, ob und wenn ja, wann – rechtzeitig – geeignete Gegenmaßnahmen von Stellen des Bundes ergriffen wurden, ob diese ausreichten und wer gegebenenfalls jeweils die Verantwortung in diesem Zusammenhang trug.

Der Abschlussbericht kommt zu dem Schluss, dass der Ausschuss nicht erforderlich gewesen ist. Alle Vorwürfe seien widerlegt, mit denen dessen Einsetzung begründet wurde. Das Gremium habe die Überzeugung gewonnen, so der Bericht, dass in den zuständigen Behörden sachgerecht und pflichtgemäß gearbeitet wurde. Der Bundesregierung, insbesondere dem Bundesfinanzministerium, könnten keine Vorwürfe gemacht werden. Der Ausschuss habe vielmehr öffentliche Aufmerksamkeit geschaffen für ein aufwändig verschleiertes Zusammenwirken von Kapitalmarktteilnehmern zum Betrug des Fiskus um große Summen.

Der durch Cum/Ex verursachte Steuerschaden dürfte laut Bericht nur einen Bruchteil der öffentlich immer wieder kolportierten zwölf Milliarden Euro ausmachen. Der Ausschuss geht von rund einer Milliarde Euro aus, die Größenordnung sei beim jetzigen Stand der Steuer- und Strafverfahren aber nicht seriös abschätzbar. Auf Nachfrage Lammerts bestätigte Krüger, dass es sich bei den Geschäften um kriminelle Machenschaften gehandelt habe.

Der Ausschuss stellte fest, dass Cum/Ex-Geschäfte schon immer rechtswidrig gewesen seien, bestimmte Marktakteure aber ihre Anlagestrategie bewusst vor den Behörden verschleiert und Gesetze gegen ihren Sinn ausgelegt hätten. Mittlerweile seien die Cum/Ex-Gestaltungen wie auch die ähnlich gelagerten Cum/Cum-Geschäfte, mit denen sich der Ausschuss ebenfalls beschäftigt hatte, unterbunden worden.

Linke und Grüne erklärten zur Begründung ihrer Sondervoten, dass die Regierungsparteien die aus der Sicht der Opposition jeweils für die massiven Steuerbetrügereien verantwortlichen Minister in Schutz nehmen würden. Der Bericht sei „einseitig geschrieben“ (Grüne) und „entschärft“ worden (Linke). Die Linke will in ihrem Sondervotum nachweisen, dass insbesondere das Bundesfinanzministerium früher hätte eingreifen können und müssen, um einen Milliardenschaden zu Lasten der Allgemeinheit abzuwenden. Im Sondervotum der Grünen heißt es: „Die Koalitionsfraktionen wollten den Untersuchungsauftrag nie erfüllen und haben entsprechend agiert.“ Der organisierte Griff in die Staatskasse sei auch durch staatliches Versagen ermöglicht worden.

Krüger hatte vor der Übergabe erklärt, der parlamentarische Auftrag sei erfüllt worden, und er sei mit dem Ergebnis zufrieden. Der Ausschuss habe sich seine Arbeit nicht leicht gemacht. Es sei herausgearbeitet worden, dass die Cum/Ex-Geschäftsmodelle ein Straftatbestand seien. Anfragen von Staatsanwaltschaften belegten das Interesse der Strafverfolgungsbehörden an den Erkenntnissen des Ausschusses. Er habe die Hoffnung, dass die Arbeit darüber hinaus verstärkt zu Selbstanzeigen von Beteiligten führt.

Der Ausschuss tagte 46 Mal, davon 19 Mal öffentlich, und hörte rund 70 Zeugen vom Börsenhändler bis zum Minister sowie 5 Sachverständige. Die Protokolle der Sitzungen füllen Krüger zufolge über 2.000 Seiten.

Am Freitag, 23. Juni 2017, steht der Bericht ab 11.55 Uhr auf der Tagungsordnung des Bundestages. Für die im Parlamentsfernsehen übertragene Debatte ist eine Stunde angesetzt.

Herausgeber: Deutscher Bundestag, Parlamentsnachrichten“.

Der von den damaligen Regierungsparteien (Große Koalition aus CDU/CSU und SPD) dominierte Untersuchungsausschuss schätzte den Schaden in seinem Abschlussbericht also statt auf 12 Mrd. € auf „nur“ 1 Mrd. €, und stellte  fest, dass der Ausschuss eigentlich gar nicht erforderlich gewesen sei. Alle Vorwürfe seien widerlegt, mit denen seine Einsetzung begründet worden sei. Die zuständigen Behörden hätten sachgerecht und pflichtgemäß gearbeitet und der Bundesregierung, insbesondere dem Finanzministerium, könne kein Vorwurf gemacht werden. Aus Sicht derjenigen, die die Einsetzung dieses Ausschusses beantragt hatten (Bündnis 90/ Die GRÜNEN und DIE LINKE) war dieses Ergebnis natürlich enttäuschend. Als einziger Erfolg blieb neben der Sensibilisierung der Öffentlichkeit übrig, dass der Ausschussvorsitzende Krüger (CDU) auf Nachfrage des Bundestagspräsidenten Lammert erklärte, dass es sich bei den Cum/Ex-Geschäftsmodellen um kriminelle Machenschaften, heißt um die Verwirklichung von Straftatbeständen gehandelt habe.

Dass sich CDU/CSU und SPD mit diesem Ausschuss hier nicht weh tun wollten, erklärt sich daraus, dass in der Zeit, als diese Steuerhinterziehungen zu Lasten des Staates begannen und praktiziert wurden, die Finanzminister des Bundes sowohl aus den Reihen der CDU wie auch aus den Reihen der SPD kamen, und zwar

1999 – 2005 Hans Eichel (SPD), 2005 – 2009 Peer Steinbrück (SPD), 2009 – 2017 Wolfgang Schäuble (CDU), 2018 (kommissarisch) Peter Altmaier (CDU), und von 2018 – 2021 Olaf Scholz (SPD),

ferner, dass auch die Landesfinanzminister sowohl aus den Reihen der CDU/CSU wie auch aus den Reihen der SPD kamen und dass von 2005 bis Dezember 2021 Angela Merkel Bundeskanzlerin war (vier Kabinette).

So betonte der Ausschuss immer wieder, dass die Cum-Ex-Akteure ihr Tun verschleiert hätten, und versuchte er, im Detail darzulegen, dass die verantwortlichen Minister und Spitzenbeamten stets das ihnen Mögliche getan haben, um Missstände abzustellen.

Die umstrittene Praxis, sich nur einmal bezahlte Kapitalertragssteuer vom Fiskus doppelt erstatten zu lassen, war jahrelang üblich und auch mit Hilfe bestellter Gutachten renommierter Anwälte abgesichert worden. Nach neuen Schätzungen sind dem deutschen Staat von 2001 bis 2016 durch das klassische Cum-Ex-Geschäft mindestens 10 Mrd. € und mit den verwandten Cum-Cum-Geschäften weitere 20 Mrd. € an Steuereinnahmen entgangen (wikipedia, Dividendenstripping, Abruf am 28. Dezember 2023).

Allerdings hat offenbar auch der Bundesfinanzhof (BFH) ein gerüttelt Maß Schuld daran, dass sich dieser Griff in die Steuerkassen derart etablieren konnte. In einer Entscheidung vom 15.12.1999 hatte der BFH die Schwelle für den Erwerb von wirtschaftlichem Eigentum extrem niedrig angesetzt und damit die steuerrechtliche Behandlung der Cum/Ex-Geschäfte nach Jahrzehnten „zur Freude der Kreditwirtschaft höchstrichterlich bestätigt“ (Bericht des Untersuchungsausschusses des Bundestags, S. 329 unten).

Aus dem Untersuchungsbericht des Bundestags erfährt man, dass das Bundesfinanzministerium (BMF) sich am 6.10.2000 gegen dieses BFH-Urteil mit einem sog. Nichtanwendungserlass zu wehren suchte, d.h. das Urteil sollte auf den entschiedenen Fall beschränkt bleiben und nicht auf gleichartige Fälle angewendet werden.

Offenbar hat der damalige Vorsitzende Richter des BFH Dr. Gosch gegenüber der FAZ in einem Interview rückschauend geäußert, dass sein Urteil vom 15.12.1999 von interessierten Marktakteuren für ihre Geschäftsinteressen missbraucht werden könnte (gemeint waren Cum/Ex und Cum/Cum), habe keiner voraussehen können . Der BFH sei „kein Wahrsager“ (FAZ vom 15.1.2017).  Dazu der Untersuchungsbericht S. 330: „Dies wirft die Frage auf, warum der 1. Senat der verfälschenden Auslegung seiner Rechtsprechung im einschlägigen Cum/Ex-Schrifttum nicht entschiedener entgegengetreten ist“.

Seit 2013 ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft unter der Leitung der Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker zu Cum-Ex-Geschäften. In diesem Zuge kam es zu 130 zeitgleichen Hausdurchsuchungen bei den beteiligten Banken, allen voran HypoVereinsbank, Deutsche Bank und HSH Nordbank.

Der SPIEGEL warf 2014 dem Bundesfinanzministerium vor, durch jahrelange Untätigkeit die Nutzung des Dividendenstrippings – das ist börsentechnisch die Kombination aus dem Verkauf einer Aktie kurz vor dem Termin der Dividendenauszahlung und Rückkauf derselben Aktie kurz nach diesem Termin – zur Erwirkung von doppelten Steuerbescheinungen möglich gemacht zu haben (sprich: geradezu dazu eingeladen zu haben).

Der SPIEGEL 39/2014 vom 21.9.2014, Bericht „Ex und hopp“ von Martin Hesse und Geraqld Traufetter:

Mit einem Trick haben deutsche Banken und Investoren den Staat um Milliarden geprellt. Doch Schuld daran trägt offenbar auch das Finanzministerium. Die Grünen fordern einen Sonderermittler, der den Skandal aufklärt“.

Ein halbes Jahr davor hatte Spiegel-online am 19.3.2014 bereits gemeldet, dass Carsten Maschmeyer die Schweizer Sarasin-Bank wegen Täuschung im Zusammenhang mit einem Luxemburger Fonds namens Sheridan verklagen will, weil der Fonds auf ein umstrittenes Geschäftsmodell gegründet sei, nämlich auf Abzocke der Staatskasse mittels Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäften. Maschmeyer habe von der rechtlichen Macke dieses Modells nichts gewusst. Laut Bericht des Handelsblatts ging es um eine Investition von 40 Mio. €, von der Maschmeyer bisher aber nur 26 Mio. € zurückerhalten habe. Veronica Ferres, Mirko Slomka, Clemens Tönnies und Matthias Prinz hätten auch Millionen in diesen Fonds investiert.

https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/carsten-maschmeyer-will-sarasin-bank-verklagen-a-959657.html

Anmerkung: Maschmeyer war später Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags. Sein Problem war, dass er nicht einmal das zurück erhielt, was er in den Fonds einbezahlt hatte.

Zur Entdeckung des Steuerraubs:

Bereits im Jahr 1992 warnte der hessische Aufseher über die Frankfurter Börse vor dieser Praxis. 1994 berichtete das Wochenblatt „Die Zeit“ über dubiose Tricks von Banken und Makler, durch die der Fiskus um riesige Summen erleichtert worden sei (Die Zeit Nr. 21/1994).

Der Untersuchungsbericht listet schön auf, dass das Problem vereinzelt auch in den Jahren danach immer wieder in Finanzverwaltungen des Bundes oder von Ländern auftauchte, erörtert wurde und dass auch Abhilfemaßnahmen ins Werk gesetzt wurden, allerdings ohne das Problem wirklich in den Griff zu bekommen.

Auf eine parlamentarische Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Bundestag zu der Praxis, dass Anlegerinnen und Anleger eine Erstattung der Kapitalertragssteuer erreichen konnten, obwohl sie keine solche abgeführt hatten, antwortete die Bundesregierung am 27.5.2013, die der Frage zugrunde liegenden Modelle seien illegal und es gäbe auch keine Gesetzeslücke.

https://dejure.org/Drucksachen/Bundestag/BT-Drs._17/13638

2014 veröffentlichte der Spiegel, wie oben bereits ausgeführt, eine Liste mit Prominenten, die über einen von einer Bank aufgestellten Cum-Ex-Fonds zunächst ordentlich Geld verdient hatten, sich nun aber geprellt fühlten, allen voran Karsten Maschmeyer. Am 15.2.2016 strahlte die ARD eine Reportage des WDR-Autors Jan Schmitt aus, die über Cum-Ex-Fonds berichtete (Milliarden für Millionäre – Wie der Staat unser Geld an Reiche verschenkt). Schmitt wurde für seine Dokumentation mit dem Ernst-Schneider-Preis ausgezeichnet (wikipedia, Abruf am 28. Dezember 2023).

2017 brachten die Staatsanwaltschaft Köln und eine spezielle Ermittlungsgruppe des LKA Düsseldorf mehrere Insider dazu, über ihr Wissen in Bezug auf mutmaßlich strafbare Cum-Ex-Geschäfte auszusagen. Dieser Erfolg, so wikipedia, kann als einer der größten Erfolge bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in Deutschland gelten. Der Steuerschaden in Deutschland soll insgesamt 31,8 Milliarden Euro betragen. Die geständigen Insider können mit Strafnachlass aufgrund der Kronzeugenregelung rechnen. An der Aufklärung haben sich ein Rechercheverbund aus NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung sowie LobbyControl beteiligt.

Diese haben über ständig neue Veröffentlichungen permanenten Druck ausgeübt.

2017 wurde die Bafin tätig und schickte allen rund 1.800 Banken in Deutschland Fragebögen, ob sie mit Steuerrückzahlungen aufgrund von Cum-EX-Geschäften rechnen und in welcher Höhe, um zu prüfen, ob durch Rückstellungen die Liquidität gefährdet werde. Das heißt: die Bafin kümmert sich nicht darum, ob aus der Steuerkasse unberechtigt Gelder abgegriffen werden, sondern darum, ob ein Bankhaus, das solche Geschäfte praktiziert, riskant handelt und dadurch einmal mit existenzgefährdenden Forderungen konfrontiert werden könnte, seien dies Schadensersatzklagen von sich geprellt fühlenden Anlegern wie Maschmeyer oder mit  Rückzahlungsforderungen des geprellten Fiskus, seien es Länder oder der Bund. So hat z. B. das Land Bayern nach einem Bericht der SZ vom 19.11.2018 hunderte Millionen Euro wegen ungerechtfertigter Steuererstattungen zurückgefordert. Der Schaden für Bayern habe laut Finanzministerium 773 Mio. € betragen. 134 Mi. € seien bereits wieder eingetrieben. Die in München ansässige HVB habe als erstes Geldinstitut reinen Tisch gemacht und zurückgezahlt.

https://www.sueddeutsche.de/bayern/cum-ex-bayern-steuersuender-1.4215742

Berichte wie im Handelsblatt vom 1. November 2019: „Wir fühlten uns wie die Größten“ – Kronzeuge im Cum-Ex-Prozess rechnet mit einer ganzen Branche ab. Im ersten Cum-Ex-Prozess Deutschlands erzählt der Hauptzeuge an Tag drei von Gier und Größenwahn – und von Lobbyismus in seiner schmutzigsten Form, brachten die kunstvoll gedrechselten Verteidigungs- und Rechtfertigungsstrategien der Cum-Ex-Akteure und ihrer hochbezahlten juristischen Helfer krachend zum Einsturz.

Meilensteine bei der Aufklärung waren und sind parlamentarische Untersuchungsausschüsse (PUAs)

Der Bericht des Untersuchungsausschusses des 18. Bundestags vom 20.6.2017, Bundestags-Drucksache 18/12700, umfasst rund 800 Seiten. Die Bundestagsabgeordneten Richard Pitterle (DIE LINKE) und Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haben unbedingt lesenswerte Sondervoten abgegeben (Seiten 381 – 457 bzw. S. 458 – 546 des Untersuchungsberichts). Schick, Finanzwissenschaftler und Volkswirt, war von 2005 bis 2018 Mitglied des Bundestags für Bündnis 90/Die GRÜNEN, von 2007 bis 2017 finanzpolitischer Sprecher der Fraktion und von 2013 bis 2017 stellvertretender Vorsitzender des Finanzausschusses im Bundestag.

Unter CumEx-Files veröffentlichte am 18.10.2018 Correctiv in Kooperation mit weiteren Medien aus zwölf Ländern über Jahre erarbeitete Rechercheergebnisse zum europäischen Cum-Ex-Steuerbetrug. Dazu Fabian Schmidt: Banker haben uns 55 Milliarden gestohlen – was dahinter steckt, in: spiegel.de, Der SPIEGEL, 19.10.2018, und die websites cum-files.com. und https://correctiv.org/top-stories/2021/10/21/cumex-files-2/

2021 wurde Hanno Berger in der Schweiz verhaftet und an die Bundesrepublik ausgeliefert. Im Prozess vor dem LG Bonn wurde er im Dezember 2022 zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt.  Die dagegen mit Hilfe eines pensionierten BGH-Richters, ehedem Vizepräsident des 1. Strafsenates, von Berger eingelegte Revision wurde verworfen.

Zuvor hatte das LG Wiesbaden gegen Hanno Berger einen Haftbefehl erlassen, gegen den Berger Beschwerde einlegte. Diese Beschwerde verwarf das OLG Frankfurt, wobei es den Sachverhalt nicht nur wie die Staatsanwaltschaft und die Vorinstanz als besonders schwere Steuerhinterziehung, sondern auch als Verbrechen des gewerbs- und bandenmäßigen Bandenbetrugs nach § 263 Abs. 5 StGB beurteilte. Gleichzeitig beantragte das OLG die Auslieferung Bergers. Die Abstützung auf eine Verurteilung auch wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs war entscheidend für den Erfolg des Auslieferungsersuchens, denn hätte bloß eine Steuerhinterziehung vorgelegen, hätte die Schweiz nicht ausgeliefert. Sämtliche Verteidiger von Cum-Ex-Beschuldigten oder –Angeklagten heulten wegen dieser Vorgehensweise des OLG Frankfurt laut auf und warfen ihm vor, dass es das Recht verbiegen würde, weil solche Taten wie sie Berger vorgeworfen würden, früher immer nur als Steuerhinterziehung gewertet worden seien und es immer völlig unstreitig gewesen sei, dass die Steuerhinterziehung als Spezialgesetz den Tatbestand des Betruges verdränge. Andreas Mosbacher, Richter am 5. Strafsenat des BGH,  nannte es in einem NJW-Aufsatz wenige Wochen vor der Entscheidung des 1. Strafsenats des BGH am 28.7.2021 („Steuerhinterziehung bei „Cum-Ex“ als gewerbsmäßiger Bandenbetrug ?“, NJW 2021, 1916 – 1919) einen begründungslosen Bruch mit einer fast 100 Jahre alten Rechtsprechung. Die Kollegen des anderen Strafsenates, die vor der von vielen erwarteten erstmaligen Entscheidung des BGH zu Cum-Ex standen, werden sich über dieses Vorpreschen eines Kollegen eines anderen Strafsenates gewundert haben, ließen sich davon aber nicht beirren und bestätigten das Urteil der Vorinstanz. Die Vorinstanz, das LG Bonn (Urteil vom 18.3.2020 ), hatte in einem Fall, bei dem die Hamburger Warburg-Bank mit Cum-Ex-Geschäften in die Steuerkasse gegriffen hatte, zwei Verantwortliche dieser Bank wegen in den Jahren 2007 – 2011 verübter Steuerhinterziehung zu Bewährungsstrafen verurteilt und als Nebenfolge bei dem Bankhaus (Warburg) als Einziehungsbeteiligter Taterträge in Höhe von immerhin 176 Mio. € eingezogen. Der Betrag errechnete sich daraus, dass vom Fiskus an die Einziehungsbeteiligte insgesamt über 166 Mio. € ausbezahlt worden waren und dass sie mit diesem Geld anschließend noch 10 Mio. € Gewinn gemacht hatte.  Der BGH wies sämtliche Einwände der Verteidiger der Angeklagten und der einziehungsbeteiligten Bank zurück, insbesondere, dass die Einziehung verjährt sei und dass es am Vorsatz zur Begehung einer Straftat gefehlt habe. Zum Zeitpunkt der Begehung der Taten habe bereits eine klare und unzweideutige Regelung bestanden. Es könne an einer vorsätzlichen Begehung kein Zweifel bestehen, weil die Beteiligten um den Dividendenstichtag herum bewusst auf die Auszahlung nicht abgeführter Kapitalertragsteuer hingewirkt hätten.

Causa Scholz

Soweit, so gut. Jedoch ist der Fall Warburg alles andere als ausgestanden. Der Hamburger Untersuchungsausschuss ist immer noch nicht beendet. Hier hängt vor allem Olaf Scholz immer noch seine Aussage vor diesem Untersuchungsausschuss im Kreuz, er könne sich nicht mehr erinnern, was er als Hamburger Bürgermeister mit Christian Olearius, von 1986 bis 2014 Sprecher der Privatbank M.M. Warburg Co. und bis Ende 2019 deren Aufsichtsratsvorsitzender, vor der Entscheidung der Hamburger Finanzverwaltung, keine Rückzahlungsforderung gegen die Warburg Bank zu erheben, besprochen habe. Damit versuchte Scholz den Verdacht einer politischen Einflussnahme durch ihn auf die Entscheidung der Hamburger Finanzverwaltung zugunsten der Warburg-Bank und von Olearius zu zerstreuen. Die Glaubwürdigkeit von Scholz ist angeschlagen, weil er sich zuerst vor dem Untersuchungsausschuss an überhaupt kein Treffen mit Olearius erinnern konnte und er diese Möglichkeit erst einräumte, nachdem ihm zufällig aufgefundene Tagebucheintragungen von Olearius vorgehalten wurden.

Mit Strafanzeige vom 15.2.2022 hatte der Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate dem ehemaligen Hamburger Bürgermeister (und jetzt Bundeskanzler) Olaf Scholz vorgeworfen, am 30.4.2021 eine uneidliche Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss in Hamburg getätigt zu haben. Nachdem die Staatsanwaltschaft Hamburg den Vorwurf mit Schreiben vom 14.3.2022 zurückgewiesen hatte, legte Strate mit Schreiben vom 18.10.2022 nochmals nach (Dokumentation des Vorgangs unter https://strate.net/verfahren/strafanzeige-gegen-olaf-scholz-und-dr-peter-tschentscher/ )

Zuvor am 21.12.2021, also vor ziemlich genau zwei Jahren, hatten Julia Witte und Ulrich Exner online auf welt.de berichtet, dass Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker auf Ermittlungen gegen Olaf Scholz verzichte – denkbar wären neben einer Strafbarkeit wegen einer Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuss auch eine Strafbarkeit wegen Untreue und wegen Begünstigung im Amt.

https://www.welt.de/politik/deutschland/article242821035/Cum-Ex-Jaegerin-verzichtet-auf-Ermittlungen-gegen-Kanzler-Scholz.html

Wie aus dem Bericht hervorgeht, hatte die WELT bei der Kölner Staatsanwaltschaft angefragt und war die Auskunft von dem für die Pressearbeit der Kölner Staatsanwaltschaft zuständigen Oberstaatsanwalt gegeben worden. Dieser hatte darauf hingewiesen, dass sowohl der Behördenleiter als auch Oberstaatsanwältin Brorhilker die Auffassung der mit der Bearbeitung der Strafanzeige Startes betrauten Hamburger Staatsanwältin teilen würden.

Der Bericht legt nahe, dass die Kölner Entscheidung politisch beeinflusst war, um Bundeskanzler Scholz und den Hamburger Bürgermeister Tschentscher in Schutz zu nehmen, und dass zu diesem Zweck insbesondere die Kölner Oberstaatsanwältin Brorhilker von ihrem Chef an die Kandare genommen worden ist, um die Hamburger Linie beim Umgang mit der Strafanzeige Strates gegen Scholz nicht zu gefährden. Der Bericht merkt kritisch an, dass der böse Schein hängen bleibe, den die Cum-Ex-Affäre auf die Arbeit von Scholz und Tschentscher angesichts der Umstände der damaligen Hamburger Steuerentscheidung zugunsten der Warburg-Bank werfe. Es komme erschwerend hinzu, dass sich der Bundeskanzler im Lauf des Verfahrens in verstärktem Maße auf Gedächtnislücken berufen habe, um mögliche Widersprüche zu vermeiden. Juristisch gesehen hätten Scholz und Olearius mit der Entscheidung der Kölner Staatsanwälte allerdings nun pünktlich zu Weihnachten (2021) eine weiße Weste. Das war vor genau zwei Jahren.

Aus politischer Sicht und speziell aus Sicht von Olaf Scholz, der Ampelkoalitionäre, und aus Sicht der SPD ist Cum-Ex nach wie vor eine tickende Bombe. Es sind derzeit erst wenige Gerichtsverfahren zur Aburteilung von Cum-Ex und Cum/Cum-Straftaten abgeschlossen oder am Laufen. Wenn erst die große Welle der Strafverfahren anrollt und ständig über die enormen Schäden für den Steuerzahler berichtet wird, kann das für viele Verantwortliche zu einem Desaster werden. Dabei geht es um sehr, sehr viel Geld.

Es kann daher nicht überraschen, wenn Akteure dieses Steuerraubs oder um ihr Fortkommen bangende Politiker mit allen möglichen Mitteln versuchen, den allmählich sich entwickelnden Brand auszutreten, bevor er verheerenden Schaden anrichtet. Als gefährlichste Gegnerin dieser Akteure hat sich über nun schon viele Jahre Anne Brorhilker herausgeschält. Man muss jederzeit damit rechnen, dass sie ausgeschaltet oder kaltgestellt wird.  

Im Herbst 2023 versuchte bekanntlich der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen Benjamin Limbach die Staatsanwaltschaft Köln so umzuorganisieren, dass die von Brorhilker bis dato alleine geleitete Abteilung für Cum-Ex-Straftaten aufgeteilt worden und die Hälfte der Fälle einem für diesen Posten neu eingesetzten Staatsanwalt zugewiesen worden wäre. De facto hätte das eine wesentliche Entmachtung von Brorhilker bedeutet. Dieser sollte die Entscheidung als Entlastung verkauft werden und der Allgemeinheit als Maßnahme zur Beschleunigung der Verfahren, um sicherzustellen, dass keine Verjährungen eintreten. Der Arbeitsaufwand sei aufgrund der Vielzahl der Beschuldigten so groß, dass Brorhilker der Arbeit nicht hinterherkomme. Brorhilker witterte Sabotage und widersprach ihrem Dienstherrn öffentlich. Sie fand sehr schnell Unterstützer, vor allem auch über das von Gerhard Schick geführte Investigativ-Netzwerk finanzwende.de, wo Brorhilker im Beirat sitzt. Über dieses Netzwerk wurden innerhalb kürzester Zeit 60.000 Unterschriften gegen die Pläne von Limbach gesammelt und Limbach öffentlich wirksam vorgelegt. Das wirkte und Limbach zog seinen Plan zurück.

Kölner-Stadt-Anzeiger vom 25.9.2023: Justizminister will gefürchtete Kölner Chef-Fahnderin entmachten:

https://www.ksta.de/politik/nrw-politik/cum-ex-in-nrw-koelner-chef-fahnderin-soll-entmachtet-werden-653457

SZ vom 9.10.2023: Wie der Machtkampf um die Cum – Ex – Aufklärerin eskaliert:

https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/wirtschaft/cum-ex-nrw-justizminister-brorhilker-e482282/

Heribert Prantl erinnert in seiner eingangs zitierten Eloge auf Brorhilker an das Schicksal einer anderen Staatsanwältin, und zwar an Margit Lichtinghagen, die als Staatsanwältin in Bochum 2008 Klaus Zumwinkel, Chef der Deutschen Post, wegen Verdacht eines Steuerdeliktes vor laufender Kamera festgenommen hat. Prantl erinnert, die Aktion habe Lichtinghagen damals schwer geschadet. Sie habe fortan als publicity-geil gegolten. Das Verfahren sei ihr entzogen worden.

In der Sache Cum-Ex ist oder war in Nordrhein-Westfalen ein Machtkampf darüber im Gange, wie mit den vielen noch zu erwartenden Verfahren umgegangen werden soll. Sollen vermehrt Deals eingegangen werden, d.h. Einstellung der Verfahren gegen Geldauflage, was den vielen Beschuldigten und den beteiligten Banken sicher ganz recht wäre, oder nicht ? Das LG Bonn baut gerade ein neues Gerichtsgebäude bei Siegburg, um dort die zu erwartende Vielzahl der Cum-Ex Verfahren verhandeln zu können. Es soll in einem Jahr bezugsfertig sein. Außerdem sind 40 neue Planstellen vorgesehen. Bis dahin, so Prantl, werde sich zeigen, ob die Speerspitze der Cum-Ex-Aufklärung wirklich spitz ist – oder stumpf. Es gehe um die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege. Auf dem Spiel stehe das Vertrauen in die deutsche Justiz.

Dem kann man nur beipflichten.

Anne Brorhilker ist ebenso wie ihre gestern im Teil 1 dieses Faktenchecks gewürdigte Berufskollegin Regina Rick aufgrund ihrer Nervenstärke, ihrer fachlichen Kompetenz und ihrer Beharrlichkeit eine herausragende Person des Jahres 2023.

Weitere Quellen:

Massimo Bognanni, Unter den Augen des Staates – Der größte Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 2022

Oliver Schröm, die cum-ex files – Der Raubzug der Banker, Anwälte und Superreichen und wie ich ihnen auf die Spur kam, 4. Auflage 2022

Oliver Schröm/ Oliver Hollenstein, Die Akte Scholz. Der Kanzler. Das Geld und die Macht, Aufbau-Verlage, 2. Auflage 2022.

Chronik der Cum-Geschäfte – Teil 2 der Cum-Serie

Nachtrag 3.1.2024:

beck-online, becklink 2006883, 7.6.2017:

NDR: Londoner Investmentbankerbande plünderte mit Cum-Ex-Geschäften deutschen Fiskus

https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Freddok%2Fbecklink%2F2006883.htm&anchor=Y-300-Z-BECKLINK-N-2006883

beck-online, becklink 2006730, 22.5.2017:

LG Ulm: Schweizer Bank muss Drogerie-Unternehmer Müller Millionen zahlen

https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Freddok%2Fbecklink%2F2006730.htm&anchor=Y-300-Z-BECKLINK-N-2006730

Bild: pixabay, Dank an Peggy_Marco