A Ripperl und a Bier … des hob i ja bei mir – ein auffällig verschwurbeltes Gemeinderatsprotokoll

In Blog by Johann G. Böhmer

In dem Protokoll zu TOP 16 der Sitzung des Gemeinderats am 23.7.2020, also vor drei Jahren, steht unter der Überschrift „gesetzliche Vorkaufsrechte für das Grundstück Fl.-Nr. 3157/2 Gewerbegebiet“:

„Herr Bürgermeister Dr. Runge übernimmt die Sitzungsleitung. Herr Erster Bürgermeister Schäfer verlässt seinen Platz und nimmt im Publikum Platz.

Beschluss: Aufgrund des Zuschnitts dieses Grundstücksteils und der fehlenden Möglichkeiten, das Grundstück zu bebauen, wird von einer Vorkaufsrechtsausübung abgesehen.

Abstimmungsergebnis: Ja-Stimmen: 29

Nein-Stimmen: 0

Persönliche Beteiligung: Herr Bürgermeister Schäfer“.

https://www.session-groebenzell.de/sessionnet/bi/si0040.php?__cjahr=2020&__cmonat=7&__canz=1&__cselect=0

Vergleicht man das Protokoll mit der öffentlichen Bekanntmachung dieser Gemeinderatssitzung (sie ist auch auf dem link oben hinterlegt), dann sieht man, dass dieser TOP ursprünglich gar nicht für den öffentlichen Teil dieser Sitzung vorgesehen war. Entweder war dieser Beratungsgegenstand „Vorkaufsrecht für das Grundstück Fl.-Nr. 3157/2“ in der Ladung an die Gemeinderäte für den nichtöffentlichen Teil der Sitzung vorgesehen oder er kam überhaupt erst nachträglich dazu. Das Protokoll sagt dazu nichts.

Nach Auffassung von Faktencheck ist der Vorgang so oder so nicht einwandfrei:

Entweder hatte die Verwaltung seit dem Verschicken der Ladungen und der öffentlichen Bekanntgabe selbst kalte Füße bekommen, ob das geplante Vorgehen rechtens ist – es war dies nicht, siehe unten – oder aus dem Kreis des Gemeinderates waren bei der Sitzungseröffnung (zu Recht) Bedenken angemeldet worden (bei der Prozedur gemäß Art. 27 Abs. 1 Geschäftsordnung der Gemeinde von 2020: „Der oder die Vorsitzende eröffnet die Sitzung … und erkundigt sich nach Einwänden gegen die Tagesordnung“). Denn es ist völlig eindeutig, dass, sobald die Ladungsfrist für eine Gemeinderatsitzung abgelaufen ist, keine neuen Tagesordnungspunkte mehr nachgeschoben werden können. Nach § 24 der Geschäftsordnung in Gröbenzell müssen zwischen dem Zugang der Ladung an die Gemeinderatsmitglieder und dem Stattfinden der Sitzung 7 volle Tage liegen und sollen der Ladung außer der Tagesordnung weitere Unterlagen, insbesondere Beschlussvorlagen beigefügt werden, damit wie es in Abs. 2 heißt, „es den Gemeinderatsmitgliedern ermöglicht wird, sich auf die Behandlung der jeweiligen Gegenstände vorzubereiten“. Ein Kommentar zur Bayerischen Gemeindeordnung (Widtmann/Grasser/Glaser, Art. 46, Rz. 13 ) formuliert, dass neue Beratungspunkte nur innerhalb der Ladungsfrist nachträglich auf die Tagesordnung genommen werden dürfen, sofern es es sich nicht um Dringlickeitsanträge handelt und die Geschäftsordnung solche vorsieht. In Gröbenzell kann die Ladungsfrist in dringenden Fällen zwar um 3 (volle) Tage verkürzt werden, § 24 Abs. 4 Satz Satz 1, 2. Halbsatz der Geschäftsordnung, jedoch ist nicht ersichtlich, dass vorliegend davon Gebrauch gemacht werden sollte.

Also konnte dieser gegenüber der Ladung und der Bekanntmachung neue TOP nachträglich gar nicht mehr in die Tagesordnung für den öffentlichen Teil der Gemeinderatssitzung vom 23.7.2020 aufgenommen werden.

Hätte dies nicht den Gemeinderatsmitgliedern in der Sitzung vom 23.7.2020 auffallen müssen ? Selbstverständlich. Auch hier also ein klares Ja !

Es war dies die 5. Sitzung des erst wenige Monate davor im Frühjahr 2020 neu gewählten Gemeinderats, der erstmals mit 30 Mitgliedern besetzt war. Von den 30 – mit Bürgermeister 31 – Mitgliedern, waren viele erstmals in den Gemeinderat gewählt worden und hatten also noch keine Erfahrung, wie es in dem Gremium zuging und nach welchen Regeln das Ganze abzulaufen hatte. Trotzdem konnte man bei der Art des Fehlers vielleicht auch schon von einem Neuling erwarten, dass er nachfragte, ob das, was geschah, rechtens war, denn immerhin ging es um die grundsätzliche Erwartung, dass jedem Gemeinderat eine sachgerechte, faire Möglichkeit der Vorbereitung zugebilligt werden muss. Der Hoppla-Hopp-Stil, der hier praktiziert wurde, musste daher gerade einem unbefangenen, neuen Gemeinderatsmitglied aufstoßen. Es saßen aber auch altgediente Gemeinderätinnen und Gemeinderäte mit im Gremium, von denen man das Wissen, dass hier ein klarer Verstoß gegen die Geschäftsordnung vorlag, voraussetzen kann und konnte und von denen man auch die Standfestigkeit und den Mut, dies zu monieren, erwarten konnte. Die Namen der Sitzungsteilnehmer stehen alle im Protokoll.

Vielleicht sollte aber den neuen und alten Gemeinderäten gleich am Anfang der Sitzungsperiode mit dieser Sache gleich in aller Deutlichkeit aufgezeigt werden, wie der Hase in Gröbenzell läuft, den neuen Gemeinderatsmitglieder sozusagen zur erstmaligen Disziplinierung, den alten Gemeinderätinnen und Gemeinderäten zur Wiedererkennung.

Wie man aus dem Protokoll erfährt, hat der Erste Bürgermeister bei Beginn des Tagesordnungspunktes die Sitzungsleitung an den Zweiten Bürgermeister Martin Runge übergeben, seinen Platz verlassen, im Publikum Platz genommen und wegen persönlicher Beteiligung an Beratung und Abstimmung nicht teilgenommen.

Üblicherweise ist es nicht nur in Gröbenzell so, dass im Protokoll nicht festgehalten wird, warum ein wegen persönlicher Beteiligung von Beratung und Abstimmung ausgeschlossenes Mitglied des Gemeinderats konkret beteiligt (umgangssprachlich: befangen) ist oder war.

Es wäre interessant zu wissen, wo genau die Grenzlinie zwischen dem Datenschutz (oder Schutz der Persönlichkeit) und dem Informationsbedürfnis des Gemeinderates und der Öffentlichkeit/Allgemeinheit verläuft.

In der bayerischen Gemeindeordnung (GO) heißt es in Art. 49 Abs. 3: “ Ob die Voraussetzungen des Absatz 1 vorliegen (ergänze: dass ein „Beschluss ihm selbst einem Angehörigen oder einer von ihm vertretenen natürlichen oder juristischen Person oder sonstigen Vereinigung einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann“ – Hervorhebungen durch den Autor), entscheidet der Gemeinderat ohne Mitwirkung des persönlich Beteiligten“.

Das bedeutet, dass die/der möglicherweise Beteiligte (=Befangene) vor Beginn der Beratung von sich aus aktiv werden muss, heißt sich als ihrer/seiner Meinung nach befangen selbst anzeigen muss, und dass der Gemeinderat ohne Mitwirkung des betreffenden Gemeinderatsmitglieds abstimmen muss, ob er die geltend gemachten Gründe für einen rechtlichen Ausschluss für zutreffend/ausreichend hält oder nicht. Das bedeutet, dass das Gemeinderatsmitglied die seiner Meinung nach maßgeblichen Gründe in öffentlichen Sitzung offenlegen muss. Sonst könnten die Gemeinderatsmitglieder ja darüber nicht befinden. Das Problem ist, dass das betroffene Gemeinderatsmitglied unter Umständen persönliche Daten offenbaren muss, die grundsätzlich niemanden etwas angehen, z. B. , dass er/sie Eigentümer, dinglich Nutzungsberechtigter, Pächter oder Mieter eines bestimmten Grundstücks ist oder dass er/sie eine rechtlich gesicherte Aussicht hat, ein bestimmtes Grundstück zu erwerben, anzumieten oder anzupachten.

Art. 47 Abs. 3 GO korrespondiert mit Art. 48 Abs. 1 GO, der besagt, dass Mitglieder eines Gemeinderats verpflichtet sind, an den Sitzungen teilzunehmen, und dass es eine Stimmenthaltung bei den Abstimmungen nicht gibt.

Eine wesentliche Bestimmung der Gemeindeordnung ist, dass Sitzungen öffentlich abgehalten werden müssen, es sei denn, dass Rücksichtnahmen auf das Wohl der Allgemeinheit und berechtigte Ansprüche einzelner entgegenstehen, Art. 52 Abs. 2 GO. Solche entgegenstehende Gründe nimmt man nur in eng umgrenzten Fällen an, wenn es z. B. um Personalangelegenheiten von Gemeindebediensteten oder um Steuerangelegenheiten von Bürgern oder um Grundstückgeschäfte geht, die die Gemeinde abschließt.

Die Frage, ob für ein bestimmtes Grundstück ein gemeindliches Vorkaufsrecht besteht und ausgeübt werden soll, ist keine derartige Angelegenheit, da die Identität der Vertragsparteien des Vorkaufs für die Frage keine Rolle spielt. Deshalb wurde über die Ausübung solcher Vorkaufsrechte immer schon in öffentlicher Gemeinderatssitzung beraten und abgestimmt, z. B. zum Erwerb von Gewässerrandstreifen am Gröbenbach und am Ascherbach, was durch ein gesetzliches Vorkaufsrecht im Naturschutzrecht ermöglicht wird.

Es hätte daher den erfahreneren Gemeinderatsmitgliedern aufgrund früherer Gemeinderatssitzungen unbedingt auffallen müssen, dass hier von einer völlig üblichen und zweifelsfreien Praxis abgewichen werden sollte und dann eben auch wurde (wenn der TOP in der Ladung für den nichtöffentlichen Teil auf der Tagesordnung stand).

Die andere Variante, dass von der Verwaltung reklamiert wurde, die Notwendigkeit dieses TOPs sei ihr erst so kurzfristig bekannt geworden, dass es für die Aufnahme in die Ladung zum öffentlichen Teil schon zu spät war, ist wenig wahrscheinlich, denn dann hätte gleich der Einwand nahe gelegen, warum die Eile so groß ist, denn zur Erklärung über eine Notaranfrage zu einem Vorkaufsrecht hat eine Gemeinde, wie jeder andere Vorkaufsrechtsberechtigte auch, nach dem Gesetz zwei Monate ab Zugang der Anfrage Zeit.

Somit spricht alles dafür, dass man eine der beiden Vertragsparteien des Vorkaufs (= des die Notaranfrage auslösenden Geschäfts) vor der Öffentlichkeit abschirmen wollte. Damit ist der Spekulation Tür und Tor geöffnet, wer dies wohl gewesen sein könnte, und warum man diesen Eiertanz veranstaltet hat. Fatal ist, dass offenbar der Bürgermeister damit zu tun hatte, da er ja an der Beratung und Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt als Beteiligter nicht teilgenommen hat.

Auffällig ist auch die recht blasse Beschreibung des Sitzungsgegenstands als „gesetzliche Vorkaufsrechte für das Grundstück….“, so, als ob es eigentlich nur um eine mehr theoretische Frage ginge. In vergleichbaren Fällen zuvor wurde das schon griffiger formuliert, siehe TOP 9 der Gemeinderatssitzung vom 6.6.2019: “ Grunderwerb: Ausübung des Vorkaufsrechts nach … für eine Teilfläche aus Grundstück… am Großen Ascherbach“. So eine Formulierung entspricht dem Gesetz (Art. 46 Abs. 2 GO) und der Geschäftsordnung der Gemeinde besser, siehe § 23 Abs. 2 der Geschäftsordnung 2020: “ … sind die Beratungsgegenstände einzeln und konkretisiert zu benennen, damit es den Gemeinderatsmitgliedern ermöglicht wird, sich… vorzubereiten“.

Es schält sich immer mehr heraus, dass offenbar große Unsicherheit besteht, wie sich der Daten- und der allgemeine Persönlichkeitsschutz zu den gesetzlichen Pflichten, Aufträgen und Bindungen von Mitgliedern kommunaler Gremien verhält. Ein Allgemeines Persönlichkeitsrecht und einen Datenschutz heutiger Prägung hat es beim Erlaß der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern vom 25.1.1952 (BayBS I S. 461) noch nicht gegeben.

Wenn aus reinen Praktikabilitätserwägungen heraus derart grundlegende Prinzipen wie die Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen oder die Einhaltung von Ladungsfristen für Gemeinderatsmitglieder einfach übergangen werden, muss das bedenklich stimmen. Erst recht, wenn das niemand auffällt.

Die Überschrift ist einem gewissen Sarkasmus geschuldet. Es handelt sich um die fünfte Zeile in der in den 50er und 60er Jahren so beliebten Brotzeit-Polka der drei lustigen Moosacher: „Mach ma Brotzeit! – Brotzeit ist die schönste Zeit !“

Wie sagte doch unlängst ein Insider zu dem Reparaturstau der Deutschen Bundesbahn ? Deren Herangehensweise könne man „nur mit zwei Halbe Bier ertragen“ !

Foto: pixabay. Danke Dieter.