Aiwanger und Söder vor der Landtagswahl unter Extremdruck – die Vermessung einer Groteske

In Blog by Johann G. Böhmer

In der Wochenendausgabe vom 26./27.08.2023 titelte die SZ: „Aiwanger soll als Schüler antisemitisches Flugblatt verfasst haben“ und behandelte den Fall nochmals auf Seite 3 unter der Überschrift „Das Auschwitz-Pamphlet“ unter Abdruck auch dieses Flugblatts. Besonders makaber darin sind die als Spaß daher kommenden Tötungsphantasien, die abgeleitet sind aus der NS-Zeit. Aufhänger des Flugblattes ist der Bundeswettbewerb, mit dem der Bundespräsident seit vielen Jahren in regelmäßigen Abständen alle Schüler an deutschen Schulen zum Verfassen eines Aufsatzes über ein vorgegebenes Geschichtsthema einlädt. Seit diesen SZ-Artikeln ist Feuer am Dach Aiwangers, seiner Fraktion, der Freien Wähler, und ebenso am Dach des Ministerpräsidenten Söder, der Bayerischen Staatsregierung und der CSU in Bayern. Sofort gab es heftige Rücktrittsforderungen der politischen Gegner aus SPD, FDP und GRÜNEN an Aiwanger und die Forderung an Söder, er müsse Aiwanger entlassen.

Sehr schnell aber gab es auch Kritik an dem Vorgehen der SZ wegen des Zeitpunkts akkurat vor der in sechs Wochen bevorstehenden Landtagswahl und weil sie ihre Quellen, soweit es Personen waren, nicht genannt habe. Tatsächlich hatte die SZ zwar intensiv rechechiert, jedoch hat sie keinen harten Beweis präsentiert, dass Aiwanger das Flugblatt tatsächlich verfasst hat. Es war also eine Verdachtsberichterstattung. Solche Verdachtsberichterstattungen sind sehr gefährlich und daher an sich unzulässig, weil sie jemand vernichten können, auch wenn sich nachher herausstellt, dass der Verdächtigte die Tat gar nicht begangen hat.

Wenig später meldete sich Hubert Aiwanger mit der Einlassung, er habe das Flugblatt nicht verfasst, er distanziere sich davon, es sei ekelerregend, er kenne aber den Verfasser. Dieser werde sich bald selbst melden. Kurz darauf meldete sich der ein Jahr ältere Bruder von Hubert Aiwanger Helmut Aiwanger bei der Passauer Neuen Presse und gab an, er sei der Verfasser des Flugblattes gewesen.

Einige interpretierten diese Wendung so, dass die SZ nun ein Problem habe, da ihre Verdachtsberichterstattung nun in sich zusammengefallen sei. Allerdings hatte Hubert Aiwanger in seiner ersten Stellungnahme nach dem Bericht der SZ eingeräumt, dass ein oder mehrere Exemplare dieses Flugblattes vom Schulpersonal in seinem Schulranzen gefunden worden seien, was seine Kritiker zu dem Argument veranlasste, der stellvertretende Ministerpräsident habe das Flugblatt ja mindestens mitverbreitet.

Ministerpräsident Söder bestellte Aiwanger am Montagnachmittag zu einer Sondersitzung des Koalitionsausschusses am Dienstagvormittag ein. Gleichzeitig meldete sich erneut der Bruder von Hubert Aiwanger mit der Äußerung, er sei sich nicht ganz sicher, aber er meine sich zu erinnern, dass Hubert Aiwanger ausgelegte Exemplare des Flugblattes wieder eingesammelt habe, um zu deeskalieren. Das konnte man nun so verstehen, als sei Hubert Aiwanger nicht nur nicht Verfasser des Flugblattes gewesen, sondern als habe er auch keine Flugblätter verteilt (was Hubert Aiwanger zuvor aber selbst nicht ausgeschlossen hatte).

Mike Schier kommentierte im Münchner-Merkur vom Dienstag, den 29.8.2023: „Jeden Tag eine neue Wendung“. Der Unmut in der CSU über das Lavieren Aiwangers wachse.

Im Report der Pressestimmen im Münchner Merkur am 29.8.2023 fällt die Neue Züricher Zeitung (NZZ) auf mit einer scharfen Kritik an der SZ: diese behandle anonyme Quellen wie Gewissheiten. Es gehe der SZ nur darum, sechs Wochen vor der Landtagswahl Aiwangers mit der CSU regierende Freie Wähler in ihrem Höhenflug zu stoppen, wobei sie aus ihrer Absicht auch gar kein Hehl gemacht habe. Die SZ betreibe das politische Geschäft von Aiwangers politischer Konkurrenz und nenne es Journalismus. Letztlich zeige das „Auschwitz-Pamphlet“ (gemeint ist der Artikel in der SZ), „in welchen Abgründen ein Journalismus landen kann, der sich von der eigenen Weltanschauung die Sinne benebeln läßt“.

https://www.nzz.ch/feuilleton/neuer-antisemitismus-in-deutschland-wie-der-linksgruene-zeitgeist-alles-ueberrollt-ld.1702380

Ähnlich kritisch gegenüber der SZ mit Report von Insiderwissen aus den Redaktionen wichtiger anderer Medien („Der Super-Gau für die SZ)“:

https://www.nius.de/Politik/falsche-vorwuerfe-gegen-aiwanger-der-super-gau-fuer-die-sz/12b983f9-d2c1-41e8-b5f3-60b23235ec13

Vorgestern erfuhr man von dem SZ-Journalisten Roman Deininger in der Talkrunde bei Lanz am 30.8.2023, dass offenbar auch das Magazin „Der Spiegel“ an der Geschichte dran war, sich dann aber nicht traute, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Ähnlich harsch wie die NZZ hatte bereits am Sonntag Michael Wolfssohn in einem Gastkommentar am 28.8.2023, 10:22 h, in BILD-online geurteilt:

Politische Vernichtung“ – Wolffssohn verteidigt Aiwanger!

………Ist jenes Flugblatt antisemitisch? Es ist menschenverachtend, aber ist es deswegen automatisch antisemitisch? Antisemiten machen Juden als Juden verächtlich. Sie fordern die Benachteiligung und sogar Ermordung. Kein Wort davon in diesem dreckigen Text. Merke: Nicht jeder Dreck ist zugleich antisemitisch. Zeugen von damals haben Hubert Aiwanger beschuldigt. Sie alle bestehen auf Anonymität. Seltsam: Für eine gute Sache – also den Kampf gegen Antisemiten – nicht mit offenem Visier kämpfen? Inzwischen ist mehr bekannt: Nicht Hubert Aiwanger hat das Flugblatt verfasst, sondern sein Bruder. Wenn es stimmt, dann nutzen die heutigen Nazi-Gegner Methoden, die sonst nur in Diktaturen üblich sind, nämlich: Sippenhaft.

Daraus folgt: Wir haben es bei den Zeugen nicht mit antifaschistischen Helden, sondern eher mit Denunzianten zu tun.

„Hysterische Aiwanger-Kritiker messen mit zweierlei Maß“

Als Jude wehre ich mich dagegen, dass Denunzianten uns Juden für ihre tagespolitischen Zwecke missbrauchen. Kurz vor den Wahlen in Bayern wollen sie den konservativen Aiwanger und seine Freien Wähler als Nazis und, daraus abgeleitet, Antisemiten abstempeln. Wer konservativ mit „Nazi“ und „Antisemit“ gleichsetzt, ist ahnungslos und verleumderisch. Wer es dennoch tut, lasse uns Juden aus diesem miesen Spiel raus ….„.

https://www.bild.de/politik/inland/politik-ausland/politische-vernichtung-wolffsohn-verteidigt-aiwanger-85194990.bild.html

Wolffssohn zieht dann noch Joschka Fischer heran, der sich „ohne Zweifel gewandelt“ habe. Vielleicht habe Hubert Aiwanger mit 17 Jahren tatsächlich Nazis verharmlost. Solle man dem konservativen Aiwanger anders als dem grünen Joschka Fischer nicht zubilligen, dass er sich gewandelt habe ?

Zu einer gegen Aiwanger gerichteten Nachricht der SPD-Politikerin Sawsan Chebli („Flugblatt, das alles überschreitet, was man für möglich gehalten hat“), die von ihrem Account inzwischen gelöscht sei, entgegnet Wolffssohn, dass Frau Chebli als Jugendliche selbst bekennende Antisemitin gewesen sei. Dieser Widerspruch sei entlarvend.  

Wolffssohn schließt mit den Worten: „Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt mehrheitlich gegen die jetzige Koalition aus CSU und Freien Wählern in Bayern. Das ist ihr gutes demokratisches Recht. Aber weder Aktivismus noch Verdachtsjournalismus sind Qualitätsjournalismus“.

In ihrer Ausgabe vom 30.8.2023 bringt die SZ ein ausführliches Interview mit dem Historiker Wolfgang Benz, der die Sprache des Flugblattes analysiert und Einblicke in die rechtsextreme Szene der 1980er Jahre gewährt. Sein erster Eindruck von diesem Flugblatt war, dass es sich um einen rohen Pennäler-Scherz handelt. Solche kenne er nicht nur aus Niederbayern, sondern auch aus Berlin und anderen Gegenden. Der Inhalt sei neonazistisch wegen der Verhöhnung aller Opfer des Nationalsozialismus. In den 80er Jahren habe es zwei Sorten von unangenehmen Geschichtsbeflissenen gegeben. Die einen hätten sich für Waffen und Schlachten interessiert und die anderen hätten sich zur Leugnung der Verbrechen entsprechender Traktate, Broschüren und Buchliteratur bedient. Benz meint, die Terminologie in dem Flugblatt sei auf der äußersten Rechten gang und gäbe gewesen, z. B. der Begriff „Vaterlandsverräter“. Benz meint, wenn Aiwanger unmittelbar nach Entdeckung des Flugblattes sein äußerstes Bedauern und seine Scham über die Jugendsünde geäußert hätte, würde er für eine milde Beurteilung plädieren. Man soll wohl ergänzen: so aber plädiere er nicht für eine milde Beurteilung.

Vorgestern kam nun auch noch heraus, dass die Veröffentlichung des Flugblattes durch einen ehemaligen Deutsch- und Lateinlehrer an Aiwangers Schule initiiert wurde. Dieser Lehrer bekundete, er habe dieses Flugblatt schon vor Jahren einmal über die Presse öffentlich machen wollen, sei damals aber damit nicht weitergekommen, und habe jetzt nach Aiwangers heftig kritisierter Erdinger Rede nochmals einen neuen Anlauf unternommen, um die seiner Meinung nach braune Gesinnung Aiwangers bloß zu legen. Ferner hat sich am 29.8.2023 ein Mitschüler von Aiwanger aus seiner Klasse gemeldet und in einem Video unter Offenlegung seiner Identität kundgetan, dass Aiwanger bisweilen mit einem Hitlergruß in den Unterricht gekommen sei. Eine Mitschülerin gab an, dass Hubert Aiwanger als Schüler Hitlers „Mein Kampf“ im Schulranzen mit sich geführt und vorgezeigt habe.

In einer Erklärung vorgestern hat Hubert Aiwanger erklärt, dass er als Erwachsener nie antisemitisch gewesen sei und dass es ihm Leid tue, wenn sein Verhalten aus Jugendzeiten zweideutig gewesen sei.

Vorgestern Abend gab es eine Presserklärung, dass der Landesvorstand der Freien Wähler Bayern, der Vorstand der Freie Wähler Landtagsfraktion sowie die Kabinettsmitglieder der Freien Wähler Bayern geschlossen hinter Hubert Aiwanger stehen. Es heißt weiter:

Sie wehren sich gegen alle Diffamierungsversuche und Spekulationen zur Person Hubert Aiwanger. Der Landesvorstand der Freien Wähler Bayern will eine bürgerliche Koalition in Bayern fortsetzen. Dies ist seitens der Freien Wähler nur gemeinsam mit Hubert Aiwanger möglich. Mit großer Zuversicht wollen die Freien Wähler mit ihrer pragmatischen Politik zum Wohle des Freistaates weiterarbeiten. Aufgrund des steigenden Zuspruchs sehen sich die Freien Wähler auch einer steigenden Zahl von politischen Angriffen ausgesetzt – derzeit massiv unter der Gürtellinie. Letztendlich entscheiden nach Ansicht der Freien Wähler die Menschen und der Wählerwille, nicht eine Kampagne aus Schmutzeleien“.

Damit reagieren die Freien Wähler auf die Erklärung Söders vor der Presse nach dem Krisentreffen am Dienstagvormittag, in dem die Erklärungen Aiwangers zum Sachverhalt die CSU-Spitze offenbar nicht zufrieden gestellt hatten.

Söder hatte erklärt, dass die Beweislage für die von der Opposition geforderte Entlassung Aiwangers nicht ausreiche, man werde Aiwanger zur weiteren Klärung 25 Fragen vorlegen. Aiwanger habe deren zeitnahe Beantwortung zugesagt. Auch wenn Söder sich in der Erklärung am Dienstag klar zum Bündnis mit den Freien Wählern bekannte, fügte er hinzu, dass der Fortbestand dieser Koalition nicht an einer Person, also an Aiwanger, hänge. Man konnte dies als Fingerzeig deuten, dass die Freien Wähler sich vorsorglich um einen Ersatz an ihrer Spitze umschauen sollen, sollten die 25 Fragen von Aiwanger nicht zur Zufriedenheit der CSU-Spitze beantwortet werden. Söder deutete an, dass die Lage sehr kritisch ist, es dürfe an Vorwürfen und Widersprüchen „jetzt nichts mehr dazu kommen„, das jetzige Vorgehen sei kein Freispruch, der Schaden für den Ruf Bayerns sei jetzt schon hoch.

Mit ihrer Presseerklärung vom Mittwoch gingen Aiwangers Leute nach Auffassung der SZ in die nächste Eskalationsstufe. Sie seien offenbar zu dem Eindruck gekommen, dass ihnen die Kontroverse um ihren Chef mehr nutzen als schaden könnte.

Gestern hat Hubert Aiwanger für mögliche Verfehlungen in seiner Jugend um Verzeihung gebeten. Falls er Gefühle verletzt habe, bereue er das zutiefst. Er entschuldigte sich bei allen Opfern des Nationalsozialismus, deren Nachfahren und denen, die wertvolle Erinnerungsarbeit leisten. Er sei nie ein Antisemit gewesen und nie ein Menschenfeind. Es sei jedoch nicht akzeptabel, dass seine Verfehlungen jetzt in einer politischen Kampagne gegen ihn und seine Partei instrumentalisiert würden. Er habe den Eindruck, er solle politisch und persönlich fertig gemacht werden.

Gestern wurde auch gemeldet, dass auf Antrag der Oppositionsparteien GRÜNE, SPD und FDP am nächsten Donnerstag, den 7.9.2023 eine Sondersitzung des sogenannten Zwischenausschusses des Bayerischen Landtags zu dieser Sache anberaumt ist. Es wird um nichts anders gehen als um die Entlassung Aiwangers als Minister, die der Ministerpräsident aussprechen müsste, Art. 45 der Bayerischen Verfassung (BV). Eine Ministerentlassung ist ohne Angabe von Gründen mit Zustimmung des Landtags jederzeit möglich. Es genügt eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zum Ministerpräsidenten. Man erinnert sich an den Fall Sauter, der von Ministerpräsident Stoiber 1999 wegen der Millionenverluste der Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft LWS entlassen wurde (und sich dagegen zunächst hartnäckig streubte). Für eine Ministeranklage nach Art. 59 BV („Der Landtag ist berechtigt, den Ministerpräsidenten, jeden Staatsminister oder Staatssekretär vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof anzuklagen, dass sie vorsätzlich die Verfassung oder ein Gesetz verletzt haben“) gibt der Sachverhalt nichts her.

Gemeldet wurde gestern ferner, dass laut Mitteilung des Kultusministeriums an den BR in dem Gymnasium, an dem der Vorfall passiert ist, „keine offiziellen Unterlagen“ zu der Sache und ihrer Behandlung durch die Schulleitung mehr vorhanden sind.

Bei der gesamten Diskussion ist bisher eigentümlicherweise noch nicht näher betrachtet worden, was denn eigentlich die Grundbotschaft des Flugblattes ist. Das Flugblatt beginnt mit der Überschrift „Bundeswettbewerb“. Darunter steht, um welche Art von Wettbewerb es gehen soll: „wer ist der größte Vaterlandsverräter ?“ Dann folgen die Preise, die man gewinnen kann: man kann Opfer einer Gräueltat werden, wie sie die Nationalsozialisten im Dritten Reich an ihren politischen Gegnern und vor allem zur Vernichtung der Juden massenhaft verübt haben (Holocaust). Natürlich sind das alles andere als Preise, über die man sich freuen kann, sondern die schlimmsten Übel, die man sich vorstellen kann. Übersetzt sind diese „Preise“ also keine Auszeichnungen, sondern der Ausdruck von blankem Haß und Vernichtungswillen gegenüber den Teilnehmern dieses Wettbewerbs. Der Verfasser wünscht den Teilnehmern – die Teilnehmer des echten Wettbewerbs sind wohlgemerkt Schüler ! – offenbar Vernichtung und Verderben auf die schlimmste Art oder besser gesagt, er weist das diesen Menschen apodiktisch zu im Sinne von: solche Menschen haben nur das Schlimmste verdient.

In den Medien wurde berichtet, dass der Verfasser des Flugblattes mit dem in der Überschrift genannten „Bundeswettbewerb“ den Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten aufs Korn nahm, der seit vielen Jahren zu wechselnden Themen ausgelobt wird. 1986 wurde aus Anlass des Reaktorunglücks in Tschernobyl das Thema „Umwelt hat Geschichte“ vorgegeben. Das Thema im Wettbewerb zwei Jahre später hieß: „Unser Ort – Heimat für Fremde?“. Einsendeschluß war der 28.2.1989. Irgendetwas an jenem Wettbewerb damals hat den Verfasser des Flugblattes so gestört, dass er das Flugblatt verfasste und an der Schule auslegte. Das Plakat, mit dem damals für den Wettbewerb geworben wurde, zeigt einen Mann mit Schnurbart und einem Turban auf dem Kopf, der lässig an ein Hochhaus im Hintergrund angelehnt steht, eine rot gefärbte urbayerische Trachtenlederhose und – ganz multi-kulti – traditionelle griechische Holzschuhe trägt. Seine trachtenmäßigen Kniestrümpfe ziert ein schwarz-rot-goldener Rand (siehe das Plakat oben).

In dem Erläuterungstext zu dem Wettbewerb, der insgesamt mit 250.000 DM dotiert war, heißt es – wir sind im Jahr 1988, Kanzler war Helmut Kohl (CDU), Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU), Bayerischer Ministerpräsident war bis zu seinem Tod im Oktober 1988 Franz-Josef Strauß, ihm folgte Max Streibl, beide CSU – , dass das gestellte Thema durch die Wahlerfolge der Republikaner eine beklemmende Realität gewonnen habe und dass die historische Erforschung des Zusammenlebens von Einheimischen und Fremden das Verständnis zwischen den Kulturen fördern soll.

Der Ansatz des Wettbewerbs war also ein multikultureller, wie man heute sagen würde, und der Zweck die Gegensteuerung gegen braunes Denken, das damals in der Partei „Die Republikaner“ Unterschlupf gefunden hatte. Dadurch fühlte sich also der Verfasser des Flugblattes damals (1987/88) zu den in dem Flugblatt niedergelegten, gräßlichen Ideen und ihrer Verbreitung in seinem Gymnasium herausgefordert. Was für ein unsäglich wirres Zeug !

Rückblende: acht Jahre davor im Jahr 1980, das war zwei Wettbewerbe davor, lautete das Thema dieses bundesweiten Geschichtswettbewerbs „Alltag im Nationalsozialismus – die Kriegsjahre in Deutschland“. Damals beteiligte sich die Passauer Gymnasiastin Anna Rosmus an dem Wettbewerb. Sie ging der Frage nach, welche Rolle Bürger ihrer Heimatstadt Passau während des Dritten Reichs gespielt hatten. Sie beantragte im Zuge ihrer Recherchen Einsicht in städtische Akten, was ihr aber verweigert wurde. Daraufhin verklagte sie die Stadt Passau, gewann den Prozess, stellte sie ihre Arbeit fertig, reichte sie ein und gewann den dritten Preis. Aus Ihrer Arbeit entstand 1983 ein Buch, in dem auch geschildert wurde, dass sie in Passau bald als Nestbeschmutzerin galt und vielfältige sehr böse Anfeindungen erleiden musste. Ihre Geschichte inspirierte Michael Verhoeven zu dem Spielfilm „Das schreckliche Mädchen“. Der Spielfilm wurde 1991 für den Oscar nominiert und ist einer der filmischen Meilensteine für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland.

Die Gegenüberstellung dieser zwei Verhaltensweisen – Flugblattverfasser und -verbreiter Mallersdorf-Pfaffenberg 1988 und Anna Rosmus 1980 nicht weit davon entfernt in Passau – in zwei Schülerwettbewerben des Bundespräsidenten der 80er Jahre öffnet den Blick dafür, wie extrem verschieden die Reaktionen auf diesen Wettbewerb sein können. Vielleicht läßt sich daraus etwas lernen. Vielleicht genügt dafür auch schon ein kurzes Innehalten.

Anna Rosmus lebt seit 1994 in den USA. In einem Interview aus dem Jahr 2006 erzählt sie, sie mache dort das Gleiche, was sie in all den Jahren zuvor in Deutschland getan habe. Sie halte Vorleseungen an Universitäten und reise zu Konferenzen. Sie recherchiere in Archiven und schreibe unentwegt. Zurzeit schreibe sie an zwei Büchern. Sie berichtet weiter, dass sie mit Kriegsveteranen und Überlebenden des Holocaust Deutschland besucht habe. Ihr sei wichtig gewesen, dass die Amerikaner auch die Zivilbevölkerung von heute treffen. Die Veteranen und Überlebenden seien neugierig, wie sich dieses Land bis heute weiterentwickelt hat.

Bild: Plakat von dem Bundeswettbewerb von 1988 /1989